Kindesunterhalt: Entscheidung des BGH, Beschluss vom 29.9.2021 – Aktenzeichen XII ZB 474/20, FamRZ 2021, 1965; Viefhues, FuR 2022, 15 ff.
Leitsatz: Sollte sich der Betreuungsanteil des grundsätzlich barunterhaltspflichtigen Elternteils erhöhen, ist ein ungedeckter Naturalkindesunterhaltsbedarf in Abzug zu bringen.
Dies bedeutet im Einzelnen:
Vorab zur Erklärung: Differenzierung zwischen Wechsel- und ResidenzmodellUnter dem (paritätischen) Wechselmodell versteht man eine annährend gleichmäßige Betreuungszeit beider Elternteile. Eine konkrete 50-50-Teilung ist dafür allerdings nicht erforderlich. Bei dem Residenzmodell hat das gemeinsame Kind nur bei einem der beiden Elternteile – dem Alleinerziehenden – den dauerhaften Wohnsitz. Den anderen sieht das Kind in aller Regel in bestimmten Abständen für kurze Zeit – etwa alle zwei Wochen am Wochenende oder in bestimmten festgelegten Urlaubszeiten während der Schulferien. |
Der Bedarf bemisst sich beim Kindesunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Kindes, die es regelmäßig bis zum Abschluss seiner Ausbildung von den Eltern ableitet. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kommt es auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an (BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 Rn 14). Jedoch ist nach der jüngsten Rechtsprechung des Senats bei gehobenem Einkommen eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle zu erwägen (vgl. BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 Rn 19 ff.; Rubenbauer/Dose NZFam 2021, 661, 666 f.).
Von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils ist somit der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt entfallenden Kindergelds und abzüglich des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. In dieser Höhe leistet der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergelds, die der betreuende Elternteil erhält, ist nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen (BGH vom 15.2.2017 – XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711 Rn 10 ff., 15 ff. m.w.N.).
Exkurs:Dies hat aber entscheidende Auswirkungen auf das bei der Berechnung seines Ehegattenunterhaltes anzusetzende Einkommen des Elternteils, der ein oder mehrere Kinder betreut. Der Vorwegabzug des anteilig gedeckten Bar-Kindesunterhalts auch auf Seiten des berechtigten Ehegatten entspricht auch dem Vorrang des Kindesunterhalts. Den Rest des Barunterhaltsbedarfs, auf dem der betreuende Elternteil „sitzen“ bleibt, kann er folglich – wie auch der barunterhaltspflichtige Elternteil – bei der Bemessung des Ehegattenunterhalts von seinem Einkommen absetzen (Rubenbauer/Dose: Unterhaltsbedarf bei höherem Einkommen, NZFam 2021, 661, 666; vgl. auch Viefhues FF 2021, 5 m.w.N.). |
Fazit:
Den sog. ungedeckten Naturalkindesunterhaltsbedarf erbringt der betreuende Elternteil gegenüber dem Kind als geldwerte Naturalleistungen. Damit deckt er den Gesamtbedarf des Kindes und finanziert dies zum überwiegenden Teil aus dem vom anderen Elternteil geleisteten Barunterhalt, aber hinsichtlich des Restbetrages aus eigenem Geld.
Für Rückfragen zum Familienrecht stehen Ihnen die Anwältinnen Isabel Blumberger, Tina Wienecke, Juliane Rosen und Rechtanwalt Floris Bittlinger gerne zur Verfügung.