Entscheidung des OLG Zweibrücken, Urteil vom 1.9.2020 – Aktenzeichen 5 U 50/19

Der Kläger machte als gesetzlicher Erbe (und abstrakt Pflichtteilsberechtigter) einen Pflichtteilergänzungsanspruch gegen einen anderen gesetzlichen Erben geltend. Letzterem war durch Übergabevertrag der Erblasserin zu Lebzeiten schenkweise Grundbesitz übertragen worden. Die Erblasserin hatte sich ein unentgeltliches Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht vorbehalten, sowie auch eine Rückübertragungsverpflichtung unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Beschenkten vereinbart.

Der Kläger war der Auffassung gewesen, ihm stehe ein Pflichtteilergänzungsanspruch zu, weil es sich bei der Grundstücksübertragung um eine Schenkung gehandelt habe, die 10-jährige Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB aber nicht schon bei Übertragung der Immobilie durch notariellen des Schenkungsvertrags, sondern erst durch den Erbfall selbst in Gang gesetzt worden sei, da die tatsächliche Leistung der Schenkung zu Lebzeiten noch nicht erfolgt sei.

Tatsächlich ist die Leistung der Schenkung Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Zehnjahresfrist; erforderlich ist insoweit, dass der Erblasser den verschenkten Gegenstand aus seinem Vermögen wirtschaftlich ausgegliedert hat (so genannter »spürbarer Vermögensverlust«). Dies ist beispielsweise nicht der Fall, wenn sich der (zukünftige) Erblasser bei einer Grundstücksübertragung den Nießbrauch am Grundstück uneingeschränkt vorbehält oder sich ein uneingeschränktes Wohnungsrecht am gesamten Gebäude vorbehält. In diesen Fällen gibt der Schenker nämlich seine Rechtsstellung als Eigentümer nicht endgültig auf, sondern nutzt den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiter, ist also weiterhin als »Herr im Haus« anzusehen.

Im vorliegenden Fall entschied das OLG Zweibrücken wie folgt:

Das der Erblasserin eingeräumte Wohnrecht steht der Annahme einer Leistung im Sinne des § 2325 Abs. 3 BGB nicht entgegen. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen kann oder ob der Erblasser den »Genuss« des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Vorliegend hatte sich die Erblasserin ein Wohnungs- und Benutzungsrecht nur an der Wohnung im Erdgeschoss vorbehalten sowie ein Mitbenutzungsrecht an gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen. Die Wohnung im Obergeschoss stand hingegen dem Beschenkten zur freien Verfügung. Durch den Vorbehalt eines solchermaßen eingeschränkten Wohnungsrechts ist der Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB nicht gehindert, da die Erblasserin aufgrund der Vereinbarung eines Wohnungsrechts nur an Teilen der übergebenen Immobilie nicht mehr als »Herrin im Haus« anzusehen ist und ihr kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des Übernehmers am Grundstück mehr zusteht.

Weiter entschied das OLG: an dem Vorliegen einer Leistung (mit der Folge des Fristbeginns § 2325 BGB) fehlt es auch nicht wegen des vereinbarten Rückforderungsrechts, da es sich nicht um ein freies Rückforderungsrecht handelte oder um ein solches, dessen Ausübung allein vom Willen des Erblassers abhing. Vorliegend handelte es sich um ein tatbestandlich eingeschränktes Rückforderungsrecht, der Schenker hätte nur bei Bedingungseintritt Zugriff auf den verschenkten Gegenstand gehabt, wobei der Eintritt der Bedingungen außerhalb des Einflussbereich des Schenkers lag. Folglich hat der Schenker durch den Eigentumsübergang den Gegenstand aufgegeben, sodass eine Leistung anzunehmen ist.

Sind zwischen der Leistung des verschenkten Gegenstandes und dem Erbfall also 10 Jahre verstreichen, bleibt die Schenkung bei der Pflichtteilsergänzung also unberücksichtigt.

Hinweis: auch einem gesetzlichen Erben steht ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Voraussetzung ist also nicht das tatsächliche Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs. Anspruchsberechtigt sind vielmehr alle Angehörigen des Erblassers, die zum Kreis der abstrakt pflichtteilsberechtigten Personen gehören.