Entscheidung des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2020 – Aktenzeichen I-3 WX 166/20, 3 WX 166/20

Der Erblasser war geschieden und verstarb kinderlos. Der gesetzliche Erbe, ein Cousin des Erblassers, erklärte gegenüber dem Nachlassgericht die Ausschlagung der Erbschaft aus jedem Berufungsgrund. Hierbei ging der Erbe von einer Überschuldung des Nachlasses aus, wofür er unter anderem folgende Anhaltspunkte hatte: der Erblasser war in einer völlig vermüllten Wohnung tot aufgefunden worden, in der Wohnung lagen Rechnungen und Mahnungen umher, es befanden sich dort keinerlei werthaltige Gegenstände; darüber hinaus hatte er Informationen vom Nachlassgericht über offene Nachlassverbindlichkeiten erhalten und darüber, dass die Bestattung des Erblassers durch die öffentliche Hand bezahlt würde. Durch diese Informationen hatte sich die Vorstellung des Erben von der Überschuldung des Nachlasses bestätigt.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sich ein nicht unerhebliches Vermögen im Nachlass des Erblassers befand, woraufhin der Erbe seine Ausschlagungserklärung anfocht und einen Erbschein, der ihn als Alleinerbin ausweisen sollte, beantragte.

Das Nachlassgericht entschied allerdings, dass die Anfechtung der Ausschlagungserklärung durch den Erben nicht wirksam gewesen sei, denn es liege kein Anfechtungsgrund vor, sondern lediglich ein so genannter unbeachtlicher Motivirrtum. Der Erbe habe die Ausschlagung der Erbschaft auf bewusst ungesicherter und spekulativer Grundlage erklärt. Er hätte sich nicht auf die Aussagen der Polizei oder die Auskünfte des Nachlassgerichts verlassen dürfen, sondern hätte selbst in die Wohnung des Erblassers gehen können und müssen, um diese Aussagen zu überprüfen. Sein Rückschluss auf eine Überschuldung sei spekulativ gewesen, da er keine Kenntnis über mögliche Aktiva gehabt habe.

Gegen den Zurückweisungsbeschluss des Nachlassgerichts richtete sich die Beschwerde des Erben vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Dieses Rechtsmittel hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht entschied, dass der Erbe seine Ausschlagungserklärung wirksam angefochten habe, ein Anfechtungsgrund in Form eines Eigenschaftsirrtums gemäß § 1954 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 119 Abs. 2 BGB liege vor.

Stützt sich die Anfechtung – wie im vorliegenden Fall – auf einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB, ist als »Sache« im Sinne dieser Vorschrift die Erbschaft anzusehen. Insoweit ist nahezu einhellig anerkannt, dass die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellt, die zur Anfechtung berechtigt kann; indes nur, wenn der Irrtum der Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses beruht. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist nicht zur Anfechtung berechtigt, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag; mit anderen Worten kann sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft annehmen oder ausschlagen zu wollen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer und bewusst ungesicherter Grundlage trifft.

Nach Ansicht des OLG habe sich im vorliegenden Fall gezeigt, dass der Erblasser sich bemüht habe, Einzelheiten zum Nachlass des Erblassers in Erfahrung zu bringen, und dazu Auskünfte bei den mit der Sache befassten öffentlichen Stellen eingeholt habe.

Für den Erben bestand vor diesem Hintergrund kein Anlass für die Annahme, dass die erhaltenen Informationen möglicherweise nicht vollständig gewesen sein könnten und dass es werthaltige Nachlassaktiva geben könnte. Der Erbe sei aufgrund der von ihm in Erfahrung gebrachten Umstände und der aus seiner Sicht abschließend stattgefundenen Klärung der Vermögensverhältnisse des Erblassers zu der Vorstellung gelang, dass sich im Nachlass ausschließlich Verbindlichkeiten befinden, dabei hätten sich ihm Anhaltspunkte für weitere taugliche Informationsquellen nicht geboten. Er habe sich daher bei seiner Erbausschlagung nicht lediglich von einer Befürchtung leiten lassen, sondern von seiner Überzeugung von einer Überschuldung.

Da der Irrtum des Erben kausal für seine Entscheidung, die Erbschaft auszuschlagen, gewesen sei und er die Anfechtung der Ausschlagung auch fristgerecht erklärt habe, sei von einer wirksamen Anfechtung der Erbausschlagung auszugehen.

Aufgrund des Beschlusses erhielt der Erbe somit den beantragten Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies.