Keine Rückabwicklung einer lebzeitigen Schenkung bei Nießbrauch: (Entscheidung des OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.11.2022 – Aktenzeichen 14 U 274/21)

 

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Erblasser hatte mit seiner (zwischenzeitlich) geschiedenen Ehefrau ein Ehegattentestament errichtet, in welchem sich die Ehegatten gegenseitig als Erben eingesetzt hatten, und bestimmt hatten, dass die zwei Kinder aus früheren Ehen des Erblassers (Schluss-) Erben des überlebenden Ehegatten sein sollten. Die Ehefrau verstarb 2003, der Erblasser 2020.

Der Erblasser war Alleineigentümer einer Immobilie. Mit notariellem Vertrag von 2007 räumte der Erblasser seiner damaligen Lebensgefährtin ein lebtägliches Nießbrauchrecht an seiner Immobilie ein. Im notariellen Vertrag hieß es in der Vorbemerkung:

»Beide Beteiligten sind verwitwet. Sie haben sich vor einiger Zeit kennengelernt und sind eine dauerhafte Haus- und Lebensgemeinschaft eingegangen. Damit verbinden sie auch die Erwartung einer gegenseitigen Unterstützung in alten, kranken und gebrechlichen Tagen. Der gemeinsame Hausstand befindet sich […].

Herr [der Erblasser] ist im Grundbuch als alleiniger Eigentümer eingetragen. Er räumt hiermit Frau [Lebensgefährtin] auf deren Lebenszeit das Recht ein, das Grundstück […] zusammen mit ihm selbst zu benutzen. […]

Das Mitbenutzungsrecht endet mit dem Tod von Herrn [Erblasser] und mit dem Tode von Frau [Lebensgefährtin]. Es endet ferner, wenn die bestehende Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass vom Nichtbestehen einer Lebensgemeinschaft dann auszugehen ist, […].

Für den Fall, dass Herr [Erblasser] vor Frau [Lebensgefährtin] stirbt und die Lebensgemeinschaft zu diesem Zeitpunkt besteht, wovon auszugehen ist, wenn die Beendigung nicht von dritter Seite nachgewiesen ist, wird Frau [Lebensgefährtin] auf ihre Lebenszeit ein Nießbrauch an dem Grundbesitz eingeräumt. […]«

Die beiden im Ehegattentestament als Erbinnen eingesetzten Kinder machen im Verfahren geltend, bei der Einräumung des Nießbrauchs handele es sich um eine sie als Schlusserbinnen beeinträchtigende Schenkung des Erblassers. Der Erblasser habe mit Beeinträchtigungsabsicht gehandelt. Diese sei evident, wenn man sich die Gesamtumstände vor Augen führe. Der Erblasser habe dafür gesorgt, dass der Lebensgefährtin zum Nachteil der Erbinnen ein lebenslänglicher Nießbrauch an seinem Einfamilienhaus, dem wesentlichen Nachlassgegenstand, eingeräumt worden sei, seine Immobilie zugunsten der Lebensgefährtin mit einer Grundschuld für eine in ihrem Alleineigentum stehende Immobilie belastet; weiter müssten die Erbinnen ein vom Erblasser aufgenommenes Darlehen abbezahlen, dass allein zum Ausbau und der Renovierung der Immobilie der Lebensgefährtin diene, und anderes.

Zentral geht es im Verfahren um die Vorschrift des § 2287 BGB, eine erbvertragliche Regelung, die auf gemeinschaftliche Ehegattentestament analog anwendbar ist, und wonach lebzeitige Schenkungen eines Erblassers, die den Erbvertragserben bzw. den Schlusserben eines Ehegattentestaments beeinträchtigen, dazu führen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen die Herausgabe des Geschenks vom Beschenkten verlangt werden kann.

 

So hat das Oberlandesgericht Karlsruhe als Berufungsgericht entschieden:

Erforderlich für die Anwendung des § 2287 BGB ist, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch liegt nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist danach anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen/ehegattentestamentarischen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint. Ein derartiges Interesse kommt etwa dann in Betracht, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege geht, oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will. Beweispflichtig für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse ist der Vertrags- bzw. Schlusserbe.

Das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter ist auch dann ein anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse, wenn der Erblasser es dadurch zu verwirklichen sucht, dass er eine ihm nahestehende Person durch Schenkungen an sich bindet. Es kann auch vorliegen, wenn der Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen – etwa zur Betreuung im weiteren Sinne – übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in Zukunft vornehmen will.

Ob und wie ein Anspruch wegen einer missbräuchlichen Schenkung besteht, hängt nach allgemeiner Meinung von einer Gesamtwürdigung aller Umstände ab, etwa dem Wert der Schenkung und dem Vermögen des Erblassers. Eine relativ geringfügige Schenkung wird nicht als missbräuchlich erscheinen.

Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall von einem lebzeitigen Eigeninteresse des Erblassers an der vorgenommenen Schenkung auszugehen. Die Erbinnen als Klägerinnen können das Gegenteil nicht beweisen. [Es folgen ausführliche Erläuterungen zum Sachverhalt, Anmerkung der Verfasserin.]

Damit stellt sich der vereinbarte Nießbrauch nicht nur als bloße Versorgungsleistung zugunsten der Lebensgefährtin dar, vielmehr handelt der Erblasser auch im erheblichen Eigeninteresse, da er sich hierdurch (auch) der Unterstützung seiner Lebensgefährtin in alten und kranken Tagen versicherte. Wie bereits dargelegt ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn es dem Erblasser wie hier im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege geht. Es ist dabei ohne Belang, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Zuwendung bereits Unterstützungsbedarf hatte oder nicht. Der Hinweis der Klägerinnen auf das relativ hohe Lebensalter der Lebensgefährtin und die damit möglicherweise einhergehende fehlende Fähigkeit zur Erbringung von Pflegeleistungen geht fehl. Selbst wenn die Lebensgefährtin nicht zu einer alleinigen Pflege des Erblassers in der Lage gewesen wäre, werden im Rahmen einer Lebensgemeinschaft vielfältige weitere Unterstützungsleistungen auch außerhalb des pflegerischen Bereichs erbracht, was keiner vertieften Erörterung bedarf. […]

Weiter ist zu sehen, dass der Erblasser der Lebensgefährtin nur den Nießbrauch zugewandt hat, das Grundstück selbst also nach dem Tod der Lebensgefährtin an die Klägerinnen als Schlusserbinnen fällt. Die Entziehung aus dem Erblasservermögen ist also zeitlich begrenzt. Damit mag der Wert der Erbschaft zu Lebzeiten der Lebensgefährtin maßgeblich verringert sein, dies aber nur vorübergehend. Daher erscheint der Wert der Zuwendung auch nicht unverhältnismäßig.