Encrochat – Verwertbarkeit – Betäubungsmittelstrafrecht: Es kommt etwas Bewegung in die Angelegenheit – das Landgericht Frankfurt/Oder neigt dazu sich der Auffassung des Landgerichts Berlin (525 Kls 254 Js 592/20 [10/21]), der Verteidigung und der wohl überwiegenden Auffassung der Literatur anzuschließen und von einer Unverwertbarkeit der Encro-Chats auszugehen.

 


Aktenzeichen 24 Qs 80/22

Landgericht Frankfurt (Oder)

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidigerin Rechtsanwältin

wegen Verbrechen nach § 29 a BtMG

hat die vierte große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) als Beschwerdekammer durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 27.10.2022 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten W. vom 7. Oktober 2022 wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 10.9.2021 — Az. 45 Gs 1754/21 aufgehoben.
Die Kosten und notwendigen Auslagen des Beschuldigten Fall der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.

Ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten besteht nicht.

Von einem solchen ist auszugehen, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat, BeckOK StPO/Krauß, 44. Ed. 1.4.2022, StPO § 112 Rn. 9.

Eine Wahrscheinlichkeit von dieser Intensität gibt sich aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht.

 

I. Kein dringender Tatverdacht hinsichtlich der Identität des Beschuldigten mit den Nutzern „s“ und „s

Zunächst besteht unter Berücksichtigung der bisherigen Beweismittel, namentlich der Inhalte der EncroChats, keine entsprechend große Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den Nutzern
„s“ und „si“ tatsächlich um den Beschuldigten handelt.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) geht laut Verfügung vom 30.03.2022 (BI. 1352 d.A.) unter Verweis auf den Vermerk des ZAM R. vom 13.04.2021, Ziff. 2 (B1. 299 ff. d.A.) davon aus, dass diese Nutzer eindeutig als der Beschuldigte identifiziert werden konnten.

Tatsächlich genügen die in dem dortigen Vermerk bezüglich des Beschuldigten benannten Verdachtsmomente (BI. 302 ff. d.A.), die vornehmlich aus den Chats des Sohns des Beschuldigten, PD, unter dem Nutzernamen „b“ mit den Nutzern „s“ und „si“ sowie aus den Chats des „s“ und des „i“ hergeleitet werden, jedoch nicht, um mit einer großer Wahrscheinlichkeit von einer Identität dieser Nutzer mit dem Beschuldigten auszugehen. Im Übrigen sind auch keine weiteren Verdachtsmomente gegen den Beschuldigten ersichtlich.

 

1. Keine hohe Wahrscheinlichkeit für Identität mit dem Nutzer „s“

1.1 polizeiliches Vorladungsschreiben/Wohnadresse des Beschuldigten

Der Vermerk vom 13.04.2021 stellt zunächst hinsichtlich der Identifizierung des Nutzers „s“ als der Beschuldigte darauf ab, dass „s“ dem „b“ am 01.04.2020 um 7.27 Uhr das Foto eines polizeilichen Vorladungsschreibens vom 31.03.2020, gerichtet an den Beschuldigten unter der Adresse pp. und das auf ihn zugelassene Fahrzeug betreffend, sendet (SB „Encrochat b“, Bl. 31). Anschließend telefonierten die beiden Nutzer; weiter telefonierte „b“ an diesem Tag mit einem Nutzer, der sich als in pp. ansässiger Anwalt habe identifizieren lassen. Hieraus wurde abgeleitet, dass der Beschuldigte das Vorladungsschreiben in der von ihm bewohnten Wohnung aufgefunden habe und seinen Sohn um Rat gefragt habe, wie er damit umgehen solle.

Abgesehen davon, dass das am 01.04.2020 um 7.27 Uhr versendete Foto im Sonderband „Encrochat b“ (B1. 31) unleserlich klein und damit nicht nachvollziehbar ist, ob es sich dabei wie behauptet um ein polizeiliches Vorladungsschreiben an den Beschuldigten handelt, stellt der vorgenannte Kommunikationsvorgang lediglich ein Indiz – hier noch das gewichtigste – dafür dar, dass es sich bei „s“ um den Beschuldigten handelt.

Mangels weiterer schlagkräftiger Verdachtsmomente, dass – wie im Folgenden ausgeführt – es
sich bei „s“ bzw. „s.“ um den Beschuldigten handelt und jener im relevanten Zeitraum tatsächlich in der Wohnung in der P aufhältig gewesen ist, weist auch dieses Indiz keine hohe Aussagekraft auf.

Zwar wird in dem Vermerk des ZAM R (BI. 308) unter Verweis auf „zu 1.)“ postuliert, dass sich der Beschuldigte auch nach Ummeldung auf die S, wo tatsächlich sein Sohn, P („t“) wohne, weiter in seiner alten Wohnung in der P in B aufhalte.

Weder enthält der Vermerk jedoch eine „Ziff. 1″ mit weiteren Ausführungen zu dieser Annahme, noch ergibt sich aus dem weiteren Akteninhalt, dass sich der Beschuldigte öfter als nur gelegentlich in dieser Wohnung aufgehalten hat.

Bis auf das genannte Vorladungsschreiben finden sich in den Chatprotokollen keine Hinweise auf die P in B als tatsächliche Wohnadresse weder des Beschuldigten noch des Nutzers „s“.

Bei der Durchsuchung der P am 30.09.2021 (B1. 1661 d.A.) wurde die dort amtlich gemeldete Schwiegertochter des Beschuldigten angetroffen, die bekundet haben soll, dass sich der Beschuldigte nur noch gelegentlich in der Wohnung erscheine und ansonsten jetzt nach Polen gezogen sei. Zuletzt sei er vor einer Woche bei ihr gewesen. Dies deutet zwar einerseits darauf hin, dass der Beschuldigte mutmaßlich weiterhin Zugang zu der Wohnung hatte und sich in dieser auch zumindest gelegentlich aufhielt. Allerdings bestehen damit auch Hinweise dafür, dass weitere Personen Zugang zu der Wohnung hatten, namentlich jedenfalls zum Zeitpunkt der Durchsuchung eine andere Person (seine Schwiegertochter) auch in der Wohnung wohnte und er sich – wie auch durch die Verteidigerin in den Schriftsätzen vom 11.05.2022 und 26.10.2022 vorgetragen – nicht dauerhaft in Deutschland aufhielt.

Dass bis auf die Meldeadressen (zunächst P, dann S) und das genannte Vorladungsschreiben keine weiteren Indizien dafür bestehen, wo der Betroffene de facto im Tatzeitraum gewohnt hat, zeigt auch, dass in Abweichung von dem oben genannten Vermerk derselbe Bearbeiter ZAM R im Vermerk vom 28.01.2021 (BI. 135 ff.) noch davon ausgeht, dass der Beschuldigte nicht etwa in der P in B, sondern mit seinem Sohn zusammen, mithin in der S in B, wohne. Dies ergebe sich aus den Chats der Nutzer „i, “ und „s“-

Auch diese Annahme ergibt sich jedoch weder aus dem Inhalt der genannten noch aus den weiteren Chatprotokollen. An keiner Stelle der Chats taucht auf, ob P („h“) einen Mitbewohner habe oder dass dies gar der Beschuldigte sein solle.

Auch eine „lebensnahe“ oder an „kriminalistischem Erfahrungswissen“ orientierte Betrachtungsweise gebietet den Schluss, das Vorladungsschreiben müsse von dem Beschuldigten seinem Sohn vorgelegt worden sein, um Rat von diesem zu erlangen (vgl. die Schlussfolgerung des ZAM R, Bl. 304 f. d.A.) nicht in zwingender Weise. Es könnte sich hierbei zwanglos auch um eine dritte, ebenfalls polnischsprachige Person handeln, die in der P in B zu der Zeit aufhältig war, das Kryptophon mit dem Nutzeraccount „si“ unterhielt und sich den ihm Aufträge erteilenden „b“ wenden wollte, wie auf ein polizeiliches Vorladungsschreiben, gerichtet an die von ihm möglicherweise bewohnte Adresse und/oder eines von ihm möglicherweise genutzten Fahrzeugs betreffend, zu reagieren sei oder den P („b.“) lediglich über das Vorladungsschreiben seinen Vater betreffend in Kenntnis setzen wollte.

In der Beschwerdebegründung vom 26.10.2022 wurde durch die Verteidigerin vorgetragen, dass es sich hierbei um Herrn pp. gehandelt haben könne, der zusammen mit der ehemaligen Ehefrau des Beschuldigten, A, in einer Wohnung in der Pr gewohnt und das Fahrzeug des Beschuldigten genutzt habe sowie im Übrigen von dem Sohn des Beschuldigten, P („b“)
als Stiefvater betrachtet worden sei. Dies wurde im Kern auch bereits mit vorangegangener Beschwerdebegründung vom 11.05.2022 zum Az. 21 Qs 14/22 durch die Verteidigerin vorgetragen, ohne dass seither Ermittlungen erfolgten, die alternativ zum Beschuldigten eine Identität des Herrn D mit den Nutzern „s: “ bzw. „si“ unplausibel erscheinen ließen.

1.2 „M“/Versorgung der Mutter des „b“

Weiter wird in dem durch die Staatsanwaltschaft in Bezug genommenen Vermerk des ZAM R vom 13.04.2021 darauf abgestellt, dass sowohl „s“ als auch „b“ sich um eine kranke Frau namens „M“ gekümmert hätten, bei der es sich um die Ende April 2020 verstorbene Ehefrau des Beschuldigten gehandelt haben könne, deren Nachname auch auf einem Klingelschild in einer der Wohnungen der P stand (Bl. 304 d.A.).

Zunächst ist hierzu festzustellen, dass in den Chats zwischen „b“ und „s“ (sowie auch „si“) nie von einer „M“ die Rede ist, sondern lediglich von einer „M“. Der Name „M“ taucht lediglich im Sonderband „i“ auf. Hierbei scheint es sich um eine junge Frau zu handeln, mit der in Kontakt steht (vgl. SB „Encrochat Bd. I, Bl. 21, Nachricht 31.03.2020, 18:55 Uhr; Bd. II,

Soweit in den Chats von einer „M“ gesprochen wird, erscheint es ebenfalls fraglich, ob es sich hierbei tatsächlich um Frau DI – deren Vornamen A lauten – handeln kann.

Dass es sich bei „M“ um eine kranke Frau handelt, scheint der Chat zwischen „s“ und „b “ am Morgen des 03.04.2020 zu implizieren. Um 8:53 schreibt „s“ an „b“: „Ich gehe nachzuschauen, was es bei M los ist“. Um 9:44 Uhr schreibt er dann: „Ich brachte ihr das Frühstück, sie bat sie einzuschließen und die Schlüssel mitzunehmen.“

Zweifelhaft erscheint diese Deutung allerdings in Ansehung des einzigen weiteren Chats in dem namentlich von einer „M“ die Rede ist und der zwischen „s“ und „b“ am 10.04.2020 erfolgt (SB „Encrochat ,b ‚“, Bd. I, Bl. 88). . Um 11.26 Uhr schreibt „s“ an „b“: „Ich bin bei M.“‘ Auf die Frage des „b“ um 11.27 Uhr, ob sie etwas brauche, antwortet „s.“: “Nichts“. Daraufhin schreibt um 11:33 „b“: „Das gefällt mir. Sag, dass ihr Kumpel 300 Euro für Parfüm übergibt.
weil sie ihre Arbeit gut macht“. Um 11.34 Uhr fragt „s“: „welcher Kumpel“, „b-“ antwortet: „Dieser, bei dem sie auf sein Geschäft aufpasst“. Dieser Kommunikationsvorgang geht mit der Annahme, dass es sich bei „M“ um eine bettlägerige Person handelt, schwer überein. Fünf Tage, am 05.04.2020 um 9:56 Uhr zuvor schreibt ,,b“ an „s“ noch über eine – namentlich nicht benannte – Frau: „Morgen werden wir sie ins Krankenhaus abliefern“.

Bei dem Besuch des „s“ bei „M“ am 03.04.2020 handelt es sich um den einzigen Kommunikationsvorgang zwischen diesem Nutzer und dem „b“, der auf die Versorgung einer kranken Person durch diesen hindeutet. Bezug zu der verstorbenen Mutter weisen im Weiteren nur noch die Nachrichten zwischen „b“ und „s“ am 05.06.2020 ab 12:16 Uhr (SB „Encrochat Bl. 215) auf. „s“ schreibt dort an „si: „Ich habe zwei Kartons insgesamt. Das sind alle. Ich habe zwei Kartons voll mit Unterlagen über ihre Krankheit.“ Hieraus allein ergibt sich jedoch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzer „s“ neben einem offenbar relativ vertrauten Verhältnis zu dem „b“ auch in einem mutmaßlich familiären Verhältnis zu dessen Mutter steht.

Soweit jedoch von letzterem auszugehen wäre, etwa weil tatsächlich eine Identität zwischen den Nutzern „s“ und „si“ angenommen werden könne (vgl. die Zweifel an dieser Annahme unter Ziff. 3), gelten auch hier die Ausführungen unter Ziff. 1.1, wonach keine höhere Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es sich hierbei um den Beschuldigten als dafür, dass es sich um deren neuen Partner, den D handelt.

1.3 „Alkoholiker“

Es wird in dem Vermerk von ZAM R weiter darauf abgestellt, dass der Beschuldigte F.(„i “) in seinem Chat den Vater des P als „langen, dünner O“, „alten P“ und „A .“ bezeichne und P (,,b“) am 02.04.2020 um 10.00 Uhr an „s“ geschrieben habe: „Lebst du noch?? Oder schon wieder betrunken?“.

Auch diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass der Nutzer „i“ im Chat niemals vom Vater des P. spricht, sondern lediglich gelegentlich von einem als „O“ oder „ (alter) Alkoholiker“ (vgl. SB „Encrochat , Bl. 30, 151) bezeichneten, polnischen Mann die Rede ist, der mit dem Nutzer „b“, also P, in Verbindung steht und vom ihm Aufträge erhält.

Tatsächlich hat die Nachricht vom 02.04.2020 zudem laut der Übersetzung den Wortlaut „Die lebt noch?? Oder schon wieder betrunken?“, sodass auch dies keinen weiteren Hinweis auf die Identität des Nutzers „s“ mit dem Beschuldigten oder einer anderen Person liefert.

1. Keine hohe Wahrscheinlichkeit für Identität mit dem Nutzer „s“

Hinsichtlich des Nutzers „s“ stellt der von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) in Bezug genommene Vermerk des ZAM R vom 13.04.2021 darauf ab, dass sich dieser ebenfalls um die kranke Frau – vermeintlich namens „M“ – kümmere.

Am 05.04.2020 habe „b“ dem „s“ geschrieben: „Morgen werden wir sie ins Krankenhaus abliefern“, zudem teilt er ihm am 09.04.2020 um 10.17 und 12.13 Uhr eine Reihe von Medikamenten mit, die der Behandlung der Frau gedient haben könnten.

Soweit dies Anhaltspunkte für ein familiäres Näheverhältnis des „s“ zum ,,b“ und seiner Mutter darstellen könnten, gelten auch hier die Ausführungen unter Ziff. 1.2, dass ebenso gut eine Identität des D mit dem Nutzer „si“ bestehen könnte.

Die Behauptung, dass sich der Nutzer „s “ ebenfalls in der P aufhalte (BI. 305 d.A.), wird durch keine weiteren Hinweise in den Chatprotokollen gedeckt.

2. Keine hohe Wahrscheinlichkeit für Identität von „s“ und „si“

Aufgrund der Umstände, dass sowohl „s“ und „si“ Polnisch sprechen, in einer vertrauten Beziehung zu P sowie – vermeintlich – seiner Mutter stehen, jedenfalls Kontakt zu einer Person namens „M“ haben und – vermeintlich – in der P wohnhaft sind, wird in dem Vermerk vom 13.04.2021 darauf geschlossen, dass es sich bei den Nutzern „s“ und „si“ um dieselbe Person, nämlich den Beschuldigten, handeln müsse.

Da jedoch mit dem D bereits eine weitere konkrete Person bekannt ist, auf die diese Merkmale nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ebenfalls zuzutreffen scheinen, erscheint dieser Schluss jedoch ebenfalls nicht zwingend.

Zudem erscheint es auch fragwürdig, warum gerade „s“/“si“ als Handlanger, der nahezu exklusiv im Kontakt mit dem Nutzer „b“ stand über zwei in der Anschaffung sehr teure Kryptophone verfügt haben soll, während sein Sohn als Buchhalter der Gruppierung und Verbindungsmann zu „w“ sowie auch die weiteren Bandenmitglieder offenbar nur eines benutzt haben.

Aus den Chatprotokollen des „b“ ist ersichtlich, dass mehrmals in dichter Abfolge Kommunikation zwischen dem „b“ und „si“ einerseits und „b“ und „si“ andererseits erfolgte (vgl. etwa SB „Encrochat Bd. I, Bl. 88), wobei fraglich ist, warum der Beschuldigte zeitgleich zwei Kryptophone bei sich führen bzw. benutzen sollte sowie für „b“ stets klar wäre, auf welchem Kryptophon er gegenwärtig den Beschuldigten erreichen würde.

Die Frage der Identität zwischen „s“ und „si“ erscheint deswegen relevant, weil die hier vorgeworfenen Taten allein Bezug zu Kommunikation mit dem Nutzer „s“ aufweisen (vgl. SB „EncroChat Auswertung“, Bl. 322 — 349). Ohne die Möglichkeit einer mit hoher Wahrscheinlichkeit vorzunehmenden Identifizierbarkeit des Beschuldigten gerade als den Nutzer „s “ kann auch keine Zuordnung der hier vorgeworfenen Tathandlungen erfolgen.

Kam es somit, wie gezeigt, auf die Verwertbarkeit der sogenannten Encro-Chat-Daten nicht an, dürfte sich nach Auffassung der Kammer im Rahmen der weiteren Ermittlungen kein hinreichender oder gar dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten erbringen lassen, soweit dieser-lediglich-aus Erkenntnissen aus den sogenannten Encro-Chats bestehen sollte.

Die Kammer neigt dazu, sich im Falle der Entscheidungserheblichkeit der Auffassung des Landgerichts Berlin [( 525 Kls) 254 Js 592/20 [10/21] und der wohl herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Derin/Singelnstein, NStZ 2021, 449; dies., StV 2022, 130; Erhard/Lödden, StraFo 2021, 366; Gebhard/Michalke, NJW 2022, 655; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420; Sommer, StV Spezial 2021, 67) anzuschließen und von einer Unverwertbarkeit der Encro-Chats auszugehen.

Einer Darstellung der Vielzahl der gegen die Verwertung der Daten sprechenden Gründe bedarf es im Rahmen eines obiter dictum nicht.

Allerdings dürfte dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Art. 82 Abs. 1 AEUV, der auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten, der Boden entzogen sein, wenn französische Gerichte nun zu dem Ergebnis kommen, dass die Beweiserhebung illegal war.

Eine solche Entwicklung scheint sich abzuzeichnen: In seiner Entscheidung vom 11.10.2022 hat der französische Kassationsgerichtshof in der Sache Nr. 21-85.148 festgestellt, dass die Vorlage einer sogenannten Aufrichtigkeitsbescheinigung der gesammelten Encro-Chat-Daten eine zwingende Bedingung für die Gültigkeit der Maßnahme ist und-da offenkundig eine solche Bescheinigung nicht vorliegt-das Urteil aufgehoben und an eine andere Kammer in Metz zurückverwiesen. Der Kassationsgerichtshof hat dabei festgestellt, dass die Encrochat-Daten ohne eine solche Aufrichtigkeitsbescheinigung illegal und unzulässig sind.

Sollten im Ergebnis die französischen Gerichte die eigenen Entscheidungen bezüglich der Erhebung der Daten aufheben, liegt es auf der Hand, dass diese Daten auch im deutschen Strafverfahren nicht verwertet werden können.

(im Volltext auf Burhoff-online veröffentlicht)

 

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