24.10.2022

Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Beschluss vom 21. September 2022 erneut mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein Rücktritt von einem versuchten Totschlag möglich ist.

 

Das Landgericht Halle hatte den Angeklagten am 13. Mai 2022 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und einen strafbefreienden Rücktritt abgelehnt. Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt.

 

Verfahrensgegenstand:

1. Nach den Feststellungen stach der von mehreren Freunden begleitete Angeklagte mit einem Messer in Richtung des Halses des Geschädigten, um diesen zu verletzen und so seinen zuvor in eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Bruder des Geschädigten geratenen jüngeren Bruder „zu rächen“. Dem Angeklagten war bewusst, dass ein Stich in den Halsbereich tödliche Folgen haben kann, was ihm aber gleichgültig war. Unmittelbar nachdem der Angeklagte den Geschädigten, der ausweichen konnte, am Arm und seitlich am Brustkorb getroffen hatte, wurde er von seinen Freunden weggezogen. Bevor die Männer sich kurze Zeit später trennten, bedrohte der Angeklagte den Geschädigten mit den Worten: „Das nächste Mal gibt es Tod“.

 

Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags hat das Landgericht verneint, weil der Angeklagte nicht freiwillig vom Geschädigten abgelassen habe.

 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

2. Dies hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

 

Die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch erweist sich schon deshalb als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht keine Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung getroffen hat (vgl. zum „Rücktrittshorizont“ BGH, Be-schluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.). Diese waren nicht entbehrlich. Denn nach den Feststellungen ist jedenfalls nicht sicher von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen, von dem der Angeklagte nicht mehr strafbefreiend hätte zurücktreten können. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass er nach seinem Vorstellungsbild im unmittelbaren Handlungsfortgang noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können, auch nachdem seine Freunde ihn weggezogen hatten.

Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Täter nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können und damit „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. April 2014 – 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241; vom 22. August 2017 – 3 StR 299/17, NStZ-RR 2017, 335; vom 7. März 2018 – 1 StR 83/18, NStZ-RR 2018, 169, 170).

3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Diese erfasst die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14; Beschluss vom 7. März 2018 – 1 StR 83/18, aaO). Um dem neuen Tatgericht eine einheitliche Bewertung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die ebenfalls als solche nicht zu beanstandende Verurteilung wegen Bedrohung auf.

 

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, genauere Feststellungen zum objektiven Geschehen zu treffen, namentlich zum Verbleib der Tatwaffe, dem Verhalten der Freunde des Angeklagten, nachdem sie ihn von dem Geschädigten weggezogen hatten, und den sich hieraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten.

b) Im Falle einer erneuten Verurteilung wegen versuchten Totschlags wird das neue Tatgericht bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, die gebotene Prüfungsreihenfolge zu beachten haben (vgl. Urteil vom 9. Februar 2016 – 1 StR 415/16, NStZ-RR 2017, 168, 169; Beschluss vom 12. März 2019 – 2 StR 17/19, NStZ 2019, 409, 410; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1122 f.).

 

Die Entscheidung ist im Volltext hier abrufbar.

 

Rechtsanwalt Jens Janssen, Jan-Georg Wennekers und Dr. Jan-Carl Janssen, Anwaltsbüro im Hegarhaus, Freiburg.