Keine eingeschränkte Leistungsfähigkeit wegen Arbeitsreduzierung eines gesteigert Unterhaltspflichtigen zum Zweck einer weiteren Ausbildung
(Brandenburgische Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.06.2023 (Aktenzeichen 13 UF 43/21)
Das Interesse eines gegenüber minderjährigen oder privilegiert volljährigen Kindern unterhaltspflichtigen Elternteils, unter Einschränkung oder sogar Aufgabe seiner Erwerbsmöglichkeiten eine berufliche Weiterbildung oder Zweitausbildung aufzunehmen, ist grundsätzlich gegenüber den Unterhaltsinteressen der minderjährigen oder privilegiert volljährigen Kindern zurück.
Das brandenburgische Oberlandesgericht hatte darüber zu entscheiden, ob ein Vater (der Antragsgegner) seine Kindesunterhaltszahlungen gegenüber seinen 2 minderjährigen Kindern (die Antragsteller) und einem weiteren 2008 geborenen Kind aufgrund eines nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung eingegangenen Studiums reduzieren durfte. Der Kindesvater hatte 2003 die Hochschulreife erworben und war anschließend bis 2015 Angehöriger der Bundeswehr. In dieser Zeit hatte er dort eine Ausbildung als kaufmännischer Assistent für Fremdsprachen abgeschlossen. 2016 nahm der Antragsgegner eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst auf und absolvierte eine weitere Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Seit April 2020 hat er ein Studium an einer Hochschule für Wirtschaft und Recht aufgenommen, mit dem anvisierten Abschluss „Bachelor of Law“. Der Antragsgegner reduzierte seine Lohnarbeitszeit während des Semesters auf 25 Wochenstunden.
Seit Mai 2019 zahlte er beiden Antragstellern Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 185,00 € monatlich. Diese Verpflichtung wurde in in der Jugendamtsurkunde festgehalten. Seit Aufnahme des Studiums sah er sich jedoch nur noch zu Kindesunterhaltszahlungen in Höhe von lediglich 75,00 € pro Kind verpflichtet. Dies begründete er mit seiner tatsächlich eingeschränkten Leistungsfähigkeit und der Annahme, das begonnene Studium sei als Erstausbildung zu werten, da der Bildungsgang „Abitur – Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten – Studium“ einheitliche mehrstufige, zeitlich zusammenhängende Ausbildung darstelle. Daher sei er für den Zeitraum des Studiums nur eingeschränkt leistungsfähig. Die Antragsteller nahmen den Antragsgegner auf Zahlung des Mindestunterhalts in Anspruch.
Das erstinstanzlich zuständige Gericht erachtete den Antragsgegner als vollumfänglich leistungsfähig, gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 22.06.2023 (Aktenzeichen 13 UF 43/21) entschieden, dass der Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit gegenüber Ansprüchen auf Kindesunterhalt nicht durchgreift. Den Antragsgegner treffe gegenüber seinen minderjährigen Kindern eine gemäß § 1603 Abs. 2 BGB gesteigerte Erwerbsobliegenheit, sodass er sich nicht auf sein tatsächliches Einkommen berufen könne. Der Antragsgegner habe mit dem Abschluss der Ausbildung zum Verwaltungsfachwirts bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung erlangt. Das Oberlandesgericht wertete das Studium als Weiterbildung, da die abgeschlossene Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt keine Voraussetzung für den Studiengang des Antragsgegners sei. Insofern müsse sich der Antragsgegner das bis zum Studienbeginn bezogene Einkommen fiktiv weiter zurechnen lassen.
Das Oberlandesgericht knüpft bei seiner Entscheidung an bestehende Rechtsprechung an, nach der ein gegenüber minderjährigen oder privilegiert volljährigen Kindern Unterhalts-verpflichteter Elternteil keine Aus- oder Weiterbildung aufnehmen darf, wenn die bestehende Erwerbsmöglichkeit in einem erlernten Beruf eine ausreichende Lebensgrundlage bietet.
Dem Unterhaltspflichtigen können grundsätzlich fiktive Erwerbseinkünfte hinzugerechnet werden, wenn ihm im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit ein unterhaltsbezogen leichtfertiges Verhalten vorgeworfen werden kann (so in der genannten Entscheidung).
Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seine Erwerbstätigkeit zugunsten einer erstmaligen Berufsausbildung aufgibt, da die Erlangung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf zu dem eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen gehört. Doch auch hier müssen jeweils die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden und insbesondere die Tatsache, warum der unterhaltspflichtige Elternteil gerade jetzt eine Erstausbildung aufnimmt und wie sich dies langfristige auf seine Leistungsfähigkeit für den Kindesunterhalt auswirken wird.
Für Rückfragen zum Familienrecht stehen Ihnen die Anwältinnen Tina Wienecke, Juliane Rosen, Isabel Blumberger, und Rechtsanwalt Floris Bittlinger gerne zur Verfügung.