Wir verweisen auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 2020 aus dem Bereich des Medizinstrafrechts:

 

„Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2 auf dessen Antrag – am 28. Oktober 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

 

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Bochum vom 17. Dezember 2019 im Ausspruch über die
in den Fällen 1, 2, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30, 31 und 34 bis 49
der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und im Ausspruch
über die Gesamtstrafe aufgehoben. Hinsichtlich der Fälle 34 bis
49 der Urteilsgründe werden auch die dazugehörigen Feststel-
lungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegrün-
det verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.

 

Gründe:

 

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der Heilkunde und mit Betrug in 33 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die gegen ihre Verurteilung gerichtete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg  (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

 

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fasste die Angeklagte spätestens im Jahr 2016 den Entschluss, Schönheitsbehandlungen mit Hyaluronsäure im Internet anzubieten. Über den zu diesem Zweck eingerichteten Instagram Account bot sie unter dem Namen „D. “ insbesondere die Vergrößerung von Lippen sowie Nasenkorrekturen mittels Unterspritzungen mit Hyaluronsäure an, obwohl sie – wie sie wusste – die hierfür erforderliche Zulassung als Heilpraktikerin nicht besaß.

1. Fälle 1 bis 33 der Urteilsgründe:

Die Angeklagte führte zwischen September 2016 und April 2019 bei 33 Kunden Behandlungen mit Hyaluronsäure durch, wobei sie in den Fällen 1, 2, 11, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30 und 31 der Urteilsgründe die Nase oder Nasolabialfalte der Kunden unterspritzte. Bei der Unterspritzung der Lippen kam es aufgrund einer fehlerhaften Behandlung in neun Fällen zu der Bildung von Knötchen oder „Knubbeln“ in der Lippe der Kundinnen, die teilweise sichtbar, teilweise lediglich für die Betroffene spürbar waren (Fälle 5, 9, 10, 11, 17, 19, 23, 27 und 33 der Urteilsgründe).

Das sachverständig durch eine Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie beratene Landgericht stellte zudem fest, dass „eine intravasale Injektion – versehentlich in ein Gefäß – mit der Folge von Gefäßverschlüssen und Gewebeuntergang … selten, … aber im Einzelfall schwerwiegende Komplikationen nach sich ziehen (kann) bis hin zur Erblindung und zum Schlaganfall“, wobei dieses Risiko vornehmlich bei der Behandlung der Nase und Nasolabialfalte besteht, sodass Unterspritzungen in diesem Bereich „generell geeignet (sind), das Leben der Patienten zu gefährden, auch wenn die möglichen Komplikationen ei-
ner Erblindung bzw. eines Schlaganfalls sehr selten sind“ (UA S. 14).

Die Angeklagte erzielte mit den Schönheitsbehandlungen, die sie entweder in einem im Wohnhaus der Schwester eingerichteten Behandlungszimmer oder im Rahmen sog. Behandlungstage in Hotels durchführte, mindestens einen Umsatz von 118.500 Euro im Jahr 2016 und von 177.750 Euro im Jahr 2017. Obwohl sie wusste, dazu verpflichtet zu sein, gab sie für die Jahre 2016 und 2017 keine Umsatzsteuererklärungen ab. Sie hinterzog hierdurch Umsatzsteuer in Höhe von 22.515 Euro im Jahr 2016 und 33.772,50 Euro im Jahr 2017 (Fälle 34 und 35 der Urteilsgründe). In den Monaten Januar 2018 bis Februar 2019 erzielte die Angeklagte zudem einen monatlichen Umsatz von mindestens 19.750 Euro. Danach gab sie für die jeweiligen Monate keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab, obwohl ihr bewusst war, dass sie die Einkünfte gegenüber dem Finanzamt hätte erklären müssen. Hierdurch hinterzog die Angeklagte monatlich einen Betrag in Höhe von 3.752,50 Euro (Fälle 36 bis 49 der Urteilsgründe). Insgesamt verkürzte sie im Tatzeitraum Umsatzsteuer in Höhe von 108.822,50 Euro. Den Steuerschaden glich sie im Laufe der Hauptverhandlung vollständig aus.

 

II.

Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.

1. Soweit das Landgericht die Unterspritzung der Nase oder Nasolabialfalte mit Hyaluronsäure (Fälle 1, 2, 11, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30 und 31 der Urteilsgründe) als gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet hat, begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Der Schuldspruch bleibt hiervon unberührt, da das Landgericht im Hinblick auf die Verwendung einer Spritze zutreffend eine gefährliche Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht hat.

a) Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt eine Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ voraus. Zwar muss die Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. März 2020 – 4 StR 646/19 Rn. 6 mwN).

b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen eine solche generelle Eignung der Verletzungshandlung, das Leben des Opfers zu gefährden, nicht. Zwar kann es nach den Urteilsfeststellungen „sehr selten“ in Folge der Unterspritzung der Nase oder Nasolabialfalte mit Hyaluronsäure zu Komplikationen und schließlich einem Schlaganfall kommen. Eine generelle Eignung der Behandlung, das Leben zu gefährden, ist damit jedoch noch nicht belegt. Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, ist für die generelle Eignung der Lebensgefährdung mehr als der lediglich in „sehr seltenen“ Fällen mögliche tödliche Ausgang der Verletzungshandlung zu fordern.

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt in den Fällen 1, 2, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30 und 31 der Urteilsgründe zur Aufhebung der Einzelstrafen von jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe. Die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StGB). Der Senat schließt aus, dass weitergehende Feststellungen möglich sind, die das Qualifikationsmerkmal einer lebensgefährdenden Behandlung tragen könnten. Die Einzelstrafe im Fall 11 der Urteilsgründe hat dagegen Bestand, da das Landgericht angesichts der sich in der Folge der Behandlung ausgebildeten Knoten in der Lippe der zusätzlichen Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB keine Bedeutung beigemessen hat.

(…)“

 

Die Entscheidung ist im Volltext hier abrufbar.

 

Für Rückfragen stehen die Strafverteidiger Dr. Jan-Carl Janssen, Jan-Georg Wennekers und Jens Janssen Anwaltsbüro im Hegarhaus, Freiburg zur Verfügung.