Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Vertrag über Grundstücksübertragung mit Pflegeverpflichtung; Anspruch auf Rückübertragung der Immobilie

(Entscheidung des BGH, Urteil vom 9.7.2021 – Aktenzeichen V ZR 30/20)

So hat der BGH entschieden:

Bei einem Vertrag unter Geschwistern über die Übertragung eines Hausgrundstücks mit Pflegevereinbarung ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Geschwister getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen den Geschwistern heillos zerrüttet, kann dies zum Wegfall der Geschäftsgrundlage dieses Vertrages führen.

In diesem Fall kann ein Anspruch auf Rückübertragung des Hausgrundstücks bestehen, wenn eine Vertragsanpassung nicht möglich ist.

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: mit notariellen Vertrag übertrug der kranke Bruder sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf seine Schwester. Als Gegenleistung räumte die Schwester ihm einem Wohnrecht an bestimmten Räumen des Hauses ein und verpflichtete sich, ihn lebenslang zu betreuen und zu pflegen. Die Schwester zog zusammen mit ihrer Familie in das Haus ein. In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen den Geschwistern. Die Schwester erbrachte keine Pflegeleistungen mehr und verlangte Miete von ihrem Bruder. Dieser erklärte daraufhin den Rücktritt vom Vertrag. Im gerichtlichen Verfahren nahm der Bruder seine Schwester auf Rückübertragung des Hausgrundstücks in Anspruch.

Der BGH hat hierzu entschieden: bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrages. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden (Bruder) und dem Übernehmenden (Schwester) heillos zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dafür kommt es nicht darauf an, welche Vertragspartei welchen Anteil an dem Zerwürfnis trägt. In der Regel tragen nämlich beide Vertragsparteien ihren Anteil daran und es lässt sich auch durch eine Beweisaufnahme kaum aufklären, ob der Anteil des einen oder des anderen überwiegt. Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist die eingetretene Zerrüttung, die ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar macht.

Hierbei ist anerkannt, dass sich die betroffene Partei (hier der Bruder) auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn sie nicht schutzwürdig ist. Dafür reicht es bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung jedoch nicht aus, dass der Übertragende (Bruder) überhaupt zum Zerwürfnis beigetragen hat oder dass dieses ihm in stärkerem Maße zurechenbar ist als dem Übernehmenden (Schwester). Weil typischerweise beide Vertragsparteien mit ihrem Verhalten zur Zerrüttung des Verhältnisses beitragen und ein eindeutiger Schwerpunkt der Verursachung hierfür auch durch eine Beweisaufnahme regelmäßig nicht bestimmt werden kann, ist dem Übertragenden das Festhalten an dem Vertrag trotz der Zerrüttung nur dann zumutbar, wenn feststeht, dass ihm diese ausnahmsweise allein anzulasten ist.

Sollte eine Vertragsanpassung in Form von Geldleistungen nicht möglich oder nicht zumutbar sein, kann die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums am Hausgrundstück verlangt werden.