Am 18.11.2021 haben Rechtsanwalt Dr. Jan-Carl Janssen und Rechtsanwalt Jan-Georg Wennekers vor dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (1 StR 197/21) auf Revision der Angeklagten die Frage der rechtlichen Bewertung einer (rechtsstaatswidrigen) Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler verhandelt. Das Urteil des Bundesgerichtshofs ergeht am 16.12.2021.

 

Rechtliche Grauzone ohne klare gesetzliche Regelung

Die Frage der Grenzen für Verdeckte Ermittler und der Umgang mit Grenzüberschreitungen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof seit Jahren umstritten und wurde von den verschiedenen Senaten unterschiedlich bewertet. Im hiesigen Verfahren (Urteil des Landgerichts Freiburg vom 23.02.2021, Az. 22/20 2 KLs 685 Js 3922/20) wurde die Tatprovokation durch einen Verdeckten Ermittler aus Sicht der Verteidigung nicht ausreichend berücksichtigt, nachdem bereits am ersten Verhandlungstag diese Frage ausführlich thematisiert und entsprechende Anträge gestellt wurden. Bislang wurde die rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler im Wege der Strafzumessung berücksichtigt – es kam also zu einem sanktionsrechtlichen Abschlag bei der verhängten Strafe.

Wir finden, dass ein derartiger Abschlag ein unfaires Verfahren (Art. 6 EMRK) nicht nachträglich wieder fair macht und sicherlich keinen Beitrag zur Disziplinierung von Polizeibeamten leistet, die rechtsstaatliche Grenzen durch eine unzulässige Tatprovokation überschreiten. Bei rechtsstaatswidriger Tatprovokation liegt aus unserer Sicht ein Verfahrenshindernis vor. Klare Regelungen sind ein Gewinn für den Rechtsstaat.

 

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – Akbay und andere gegen Deutschland (Nr. 40495/15)

Die Diskussion muss vor dem Hintergrund der am 15. Oktober 2020 ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gesehen werden (Akbay und andere gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 40495/15 und zwei weitere). Bereits zuvor wurde die Bundesrepublik vom EGMR wegen des Verstoßes gegen den fair trial-Grundsatz verurteilt (Furcht gegen Deutschland, Nr. 54648/09, 23. Oktober 2014)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 15. Oktober 2020 (Nr. 40495/15) klare Kriterien für den Einsatz Verdeckter Ermittler aufgestellt:

Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation liegt nach der Definition des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor, wenn sich die beteiligten Beamten nicht auf eine weitgehend passive Ermittlung von Straftaten beschränken, sondern die betroffene Person derart beeinflussen, dass diese aktiv zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie andernfalls nicht begangen hätte, und zwar mit dem Zweck, die Feststellung einer Straftat zu ermöglichen, d. h. Beweise zu erbringen und eine Strafverfolgung einzuleiten.

Zudem hat EGMR anerkannt, dass eine Person auch dann provoziert worden sein kann, wenn sie keinen unmittelbaren Kontakt zum Verdeckten Ermittler hatte, sondern durch einen Mittäter in die Tat verstrickt wurde, der unmittelbar von der Polizei zur Begehung der Straftat angestiftet wurde. Der Gerichtshof prüft dabei, ob es für die Polizei vorhersehbar war, dass die unmittelbar zur Tat provozierte Person wahrscheinlich eine weitere Person kontaktieren würde, die sich an der Tat beteiligt. Eine Tatprovokation liegt in diesen Fällen vor, wenn das Handeln der Polizei auch für diese weitere Person eine Verleitung zur Begehung der Tat darstellt.

Bei der Anwendung der Kriterien hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Behörden die Beweislast auferlegt. Soweit die vom Angeklagten vorgebrachten Behauptungen nicht völlig unplausibel sind, hat die Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass keine rechtsstaatswidrige Tatprovokation stattgefunden hat.

Dieser Beweis wurde aus hiesiger Sicht nicht erbracht.

 

Für Rückfragen stehen Rechtsanwalt Dr. Jan-Carl Janssen und Rechtsanwalt Jan-Georg Wennekers zur Verfügung.

Wir verweisen zudem auf die Berichterstattung der Badischen Zeitung vom 20.11.2021: „Wie viel Drogen darf ein Ermittler bestellen? Bundesgerichtshof prüft Strafurteil gegen zwei Männer aus Emmendingen / Undercover-Polizist stiftete zum Kauf großer Menge an.“

Badische Zeitung v. 08.12.2020: „Landgericht Freiburg – Hat ein Ermittler bandenmäßigen Handel mit Drogen provoziert?“