Verwiesen sei auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus dem Bereich des Sexualstrafrechts in „Aussage-gegen-Aussage“-Konstellationen:

 

BGH , Urteil vom 13.10.2020 – 1 StR 299/20 (LG Traunstein)

 

Mit Urteil vom 13.10.2020 legt der Bundesgerichtshof erneut die Anforderungen an die Beweiswürdigung in „Aussage-gegen-Aussage“-Konstellationen dar:

 

„In Fällen, in denen (hier: hinsichtlich der [fehlenden] Einverständlichkeit von sexuellen Handlungen) „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat und die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben. (Ls d. Schriftltg – NStZ-RR 2021, 24.)

In Fällen, in denen – wie hier hinsichtlich der Einverständlichkeit der sexuellen Handlungen – „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschl. v. 6.2.2014 – 1 StR 700/13 Rn 3, BeckRS 2014, 6229 und v. 10.1.2017 – 2 StR 235/16 Rn 16, BeckRS 2017, 105258 = NStZ-RR 2017, 223 [Ls]). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (vgl. nur BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 2 StR 7/20 Rn 4, BeckRS 2020, 21207 mwN [insow. in NStZ-RR 2020, 321 n. abgedr.]).

 

 

BGH, Beschluss vom 12.8.2021 – 1 StR 162/21

1. Hält der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine ursprünglich erhobenen Vorwürfe zumindest teilweise nicht aufrecht, so dass insoweit ein Freispruch ergeht, ist das Tatgericht zwar nicht von vornherein gehindert, seine Überzeugung auf den aufrechterhaltenen Teil der Aussage des Zeugen zu stützen; regelmäßig müssen aber in einem solchen Fall – insbesondere, wenn eine bewusst falsche Aussage nicht ausgeschlossen werden kann – außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe festgestellt werden, wenn das Tatgericht der Aussage im Übrigen folgen will.

2. Dies gilt namentlich auch dann, wenn die Abweichung zwischen der Aussage in der Hauptverhandlung und derjenigen im Ermittlungsverfahren besteht; denn auch in einem solchen Fall ist die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen im Regelfall erschüttert. (Ls d. Schriftltg.)

 

 

Zum Sachverhalt:

Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Nach Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen durch Senatsbeschluss vom 18. März 2020 (1 StR 67/20) hat die dann zuständige Strafkammer den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt (erster Tatkomplex) und ihn vom zweiten angeklagten Tatvorwurf – einer am Tag nach der ersten Tat begangenen weiteren Vergewaltigung der Nebenklägerin – freigesprochen.

 

Aus den Gründen:

„Die Verurteilung hat keinen Bestand. Der Angeklagte ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

1. Der neben dem rechtskräftigen Teilfreispruch vom Vorwurf einer Vergewaltigung am 16. August 2018 ergangene Schuldspruch wegen Vergewaltigung (Geschehen am 15. August 2018) wird von der Beweiswürdigung nicht getragen.

a) Das Landgericht hat sich die Überzeugung von der Tatbegehung durch den Angeklagten am Abend des 15. August 2018 – einer Vergewaltigung seiner Ehefrau, der Nebenklägerin, im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung (erster Tatkomplex) – allein aufgrund der Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungs-verfahren und deren Verhaltens in der Hauptverhandlung des zweiten Rechtsgangs gebildet. Dies bildet hier keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten.

aa) Steht Aussage gegen Aussage und hängt damit die Entscheidung allein davon ab, welcher Aussage das Gericht Glauben schenkt, müssen die Urteilsgründe für das Revisionsgericht nachvollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98 Rn. 18, BGHSt 44, 256, 257; Beschluss vom 5. November 1997 – 3 StR 558/97 Rn. 2 mwN, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3). Es bedarf insoweit – dies hat auch das Landgericht nicht verkannt – einer besonders sorgfältigen Würdigung der Aussage des Belastungszeugen, insbesondere einer genauen Inhaltsanalyse, einer Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, einer Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie einer Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – 1 StR 299/20 Rn. 8; Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 StR 7/20 Rn. 4 mwN; vgl. dazu auch Schluckebier in SSW-StPO, 4. Aufl., § 261 Rn. 39).

Hält der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine ursprünglich erhobenen Vorwürfe zumindest teilweise nicht aufrecht, so dass insoweit ein Freispruch ergeht, ist das Tatgericht zwar nicht von vornherein gehindert, seine Überzeugung auf den aufrechterhaltenen Teil der Aussage des Zeugen zu stützen; regelmäßig müssen aber in einem solchen Fall – insbesondere, wenn eine bewusst falsche Aussage nicht ausgeschlossen werden kann – außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe festgestellt werden, wenn das Tatgericht der Aussage im Übrigen folgen will (BGH, Urteile vom 23. Mai 2006
– 5 StR 62/06 Rn. 10; vom 13. Januar 2005 – 4 StR 422/04 Rn. 20; vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98 Rn. 15, BGHSt 44, 153, 159 und vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98 Rn. 18, BGHSt 44, 256, 257; Beschluss vom 27. November 2017 – 5 StR 520/17 Rn. 6 mwN; vgl. auch Schluckebier in SSW-StPO, aaO; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83c). Derartige „Außenkriterien“ sind für eine tragfähige Beweiswürdigung erforderlich, weil die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen in einem solchen Fall insgesamt schwerwiegend in Frage gestellt ist (Schluckebier in SSW-StPO aaO; Sander in Löwe/Rosenberg aaO). Dies gilt auch dann, wenn die Abweichung zwischen der Aussage in der Hauptverhandlung und derjenigen im Ermittlungsverfahren besteht; denn auch in einem solchen Fall ist die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen im Regelfall erschüttert.

bb) An diesen Maßgaben gemessen hätte das Landgericht hier eine Überzeugung nur dann auf die Aussage der Nebenklägerin stützen dürfen, wenn es ußerhalb ihrer Aussage liegende Umstände, die den Tatvorwurf bestätigen, festgestellt hätte. Denn die Nebenklägerin hat, nachdem sie sich im ersten Rechtsgang auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen und ihr Einverständnis mit der Verwertung ihrer den Angeklagten hinsichtlich beider angeklagter Taten belastenden Angaben erklärt hatte, im zweiten Rechtsgang mitgeteilt, dass ihr das landgerichtliche Urteil des ersten Rechtsgangs am Vortag erstmals übersetzt
worden sei und sie in diesem Zuge erkannt habe, dass der darin vom Landgericht ausgeurteilte Tatvorwurf einer Vergewaltigung am 16. August 2018 nicht zutreffe; tatsächlich habe der Angeklagte von seinem an diesem Tag geäußerten Ansinnen, Geschlechtsverkehr mit ihr ausüben zu wollen, Abstand genommen, nachdem sie ihren entgegenstehenden Willen deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Auf Frage der Strafkammer, wie die anderslautenden Angaben im Ermittlungsverfahren zu den Geschehnissen am 16. August 2018 zu erklären seien, teilte die Nebenklägerin mit, dass sie möglicherweise die Ereignisse „durcheinandergebracht“ beziehungsweise Details „mit früheren Erlebnissen verwechselt“ habe (UA S. 25).

Hinsichtlich des ersten Tatvorwurfs hat die Nebenklägerin demgegenüber zu verstehen gegeben, dass dieser zutreffe. Dies schließt die Strafkammer allerdings allein aus folgendem Umstand: Während die Nebenklägerin zu dem Vorgeschehen der Tat am 15. August 2018 Angaben gemacht hat, die mit denjenigen im Ermittlungsverfahren in Einklang standen, hat sie den eigentlichen Vergewaltigungsvorgang am 15. August 2018 nicht mehr geschildert. Sie „öffnete“ nur noch „mehrfach den Mund, um etwas zu sagen“ (UA S. 40), brachte aber nichts heraus und erklärte – nach dem Eindruck der Strafkammer ersichtlich emotional aufgewühlt –, über die Sache nicht noch einmal reden zu können, weil sie so schlimm für sie sei.

Eine plausible Begründung für den „Bruch in der Konstanz der Angaben der Nebenklägerin“ (UA S. 35) hat die Kammer nicht finden können. Auf den nicht widerrufenen Teil der von der Nebenklägerin ursprünglich gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen hätte das Landgericht eine Verurteilung daher nur stützen dürfen, wenn es weitere außerhalb ihrer Aussage liegende gewichtige Gründe angeführt hätte, die für den Wahrheitsgehalt der polizeilichen Aussage der Nebenklägerin hierzu sprechen. Derartige Gründe hat die Strafkammer indes nicht festgestellt. Tragfähige Gründe, welche die Richtigkeit der Angabender Nebenklägerin stützen könnten, liegen insbesondere nicht darin, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten für in Teilen unplausibel und daher unwahr gehalten hat. Ebenso wenig ergeben sich derartige Gründe aus der Erwägung des Landgerichts, dass die Nebenklägerin keinen Grund gehabt habe, ihre bisherigen Angaben zum zweiten Tatvorwurf in Kenntnis der mit einem solchen Aussageverhalten verbundenen Risiken eigener Strafverfolgung einerseits und eines vollständigen Freispruchs des Angeklagten andererseits zu revidieren, an denjenigen zum ersten Tatvorwurf indes festzuhalten, wenn die Angaben insgesamt unwahr gewesen wären. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Landgericht mangels nachvollziehbaren Grundes für die vollständige Abkehr der Nebenklägerin von ihren Aussagen zum Kernbereich des zweiten Tatkomplexes im Ermittlungsverfahren nicht einmal ausschließen konnte, dass die Nebenklägerin zum zweiten Vergewaltigungsvorwurf im Ermittlungsverfahren bewusst gelogen hat.

Nicht tragfähig ist weiter, dass das Landgericht seine Überzeugung auf den persönlichen Eindruck von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gestützt und daneben maßgeblich darauf abgestellt hat, dass ein Falschbelastungsmotiv der Nebenklägerin nicht erkennbar sei und deren Aussageverhalten in der Gesamtbetrachtung dafür spreche, dass sich das Geschehen am 15. August 2018 so zugetragen habe, wie von ihr im Ermittlungsverfahren geschildert. Denn die Erwägungen zum Fehlen eines Falschbelastungsmotivs der Nebenklägerin und weitere vom Landgericht im Rahmen der Aussageanalyse angeführte Gesichtspunkte, wie etwa die Aussagegenese, der Detailreichtum der Aussagen oder die Schilderung eigener Gefühle durch die Nebenklägerin, galten gleichermaßen für die frühere – von der Nebenklägerin im zweiten Rechtsgang revidierte – Darstellung des Geschehens am 16. August 2018 (zweiter – freigesprochener – Tatkomplex). Insoweit hat die Nebenklägerin aber gerade eingeräumt, dass dieser Tatvorwurf nicht der Wahrheit entspricht. Es fehlt mithin an einer tragfähigen Grundlage für eine Verurteilung.

b) Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht weitere Feststellungen treffen könnte, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen des nach dem rechtskräftigen Teilfreispruch noch verbliebenen Tatvorwurfs noch tragen könnten. Er spricht den Angeklagten daher selbst gemäß § 354 Abs. 1 StPO frei.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

3. Der Senat hat die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft und etwaige andere Eingriffsmaßnahmen (§§ 8, 2 StrEG) dem Tatgericht überlassen; dieses hat Art und Dauer der einzelnen Maßnahmen zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2021 – 3 StR 302/20 Rn. 24 mwN und vom 25. Oktober 2001 – 1 StR 435/01 Rn. 10).“

 

In allen strafrechtlichen Fällen stehen Ihnen die Strafverteidiger Janssen, Dr. Janssen und Wennekers unter der Rufnummer 0761/38792-12 zur Verfügung.