Bericht über das Verfahren gegen L.Z. wegen Nötigung (Blockadeaktionen)

Der Medizinstudent L. Z. wurde von der Staatsanwaltschaft Freiburg wegen Nötigung in 3 Fällen angeklagt. Die Verhandlung fand am 27.09.22 vor dem Amtsgericht – Jugendgericht – Freiburg statt. Was war geschehen und weshalb ist der Fall interessant?

L.Z. hatte an drei Blockadeaktionen der Gruppe «Aufstand der letzten Aktion» in Freiburg teilgenommen. Mit der ersten Aktion wurde am 07.02.22 der Verkehr auf der Lessingstr./Kronenbrücke blockiert, mit der zweiten auf der Lessingstr./Kaiserbrücke und mit der dritten der Verkehr auf der Abfahrt von der A 5 an der Ausfahrt Freiburg-Nord. Bei jeder Aktion hatten einige ihre Hand an der Fahrbahn festgeklebt. Das Ziel der Aktion wurde mit einem Transparent «Essen retten-Leben retten» deutlich gemacht. RA Moos verteidigte den Angeklagten. Er hatte vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich u.a. vorgetragen:

 

Vortrag der Verteidigung

«L.Z. ist keiner, der leichtfertig Regeln bricht. Er hat sich auch intensiv mit der Teilnahme an den angeklagten Aktionen und ihren möglichen Folgen beschäftigt.
Er teilt mit vielen anderen die Auffassung, dass bei weitem nicht genug geschieht, um unseren Planeten noch zu retten; dass alle Appelle, Demonstrationen, Klimagipfel und vieles mehr nicht verhindert haben, dass die Situation nicht besser, sondern immer bedrohlicher wird. Unmittelbares Ziel der Aktionen war es, den öffentlichen Druck auf die Regierenden zu erhöhen, um ein Gesetz zu erlassen, welches das Vernichten von brauchbaren Lebensmitteln verbietet. Ausweislich eines Berichtes im 1. Programm (Plusminus) v. 02.02.2022 handelt es sich dabei um mehr als 10 Millionen Tonnen pro Jahr (Anlage). Die Bundesregierung prüfe noch immer, ob «gesetzgeberischer Handlungsbedarf» bestehe. Mit einem solchen Verbot könnten viele Arme besser versorgt werden (Tafeln !) . Auch umwelt- und klimapolitisch würde ein solches Verbot Sinn machen.

Die Beteiligung an den Ankleb/Sitzblockaden stellt sich nach der Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als Gewalt i.S.d. § 240 StGB dar, auch wenn diese Rechtsprechung nur schwerlich mit der ursprünglichen Intension von Bundesverfassungsgericht Band 73, 206ff; 92,1ff. zusammenpasst (vgl. Fischer, StGB Anm. 20 ff. zu § 240 StGB). Letzen Endes sind wir doch wieder bei dem vergeistigten Gewaltbegriff gelandet («physisch vermittelter Zwang»), den das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung zu Recht kritisiert hat, liegt doch die «Gewalt» nicht im Verhältnis der Blockierenden zu den anhaltenden Pkw-Fahrern vor, sondern zwischen diesen und den weiteren zum Anhalten gezwungenen Fahrern.

Vor allem aber stellt sich die Frage, ob dieses Handeln «verwerflich» war, der provozierte Stau einer Vielzahl von PKW-Fahrern die Annahme eines erhöhten Grades sittlicher Missbilligung» rechtfertigt.

Bei den Blockaden handelte es sich um Versammlungen i.S. von Art. 8 Grundgesetz. Die Teilnehmer wollten auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken. Die Aktionen waren auch nicht unfriedlich im Sinne von Art.8 GG. Dazu bedarf es «einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten…nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen» (BVerfG 1 BvR 388/05, Beschluss v. 07.03.2011 zu einer Sitzblockade gegen den Irak-Krieg). Auch die Tatsache, dass diese Aktionen versammlungsrechtlich nicht angemeldet wurden, ändert nichts daran, dass der Schutzbereich des Art. 8 eröffnet ist (BVerfG a.a.O.).

Bei den Aktionen wurden keine subjektiven Anliegen im Wege der Selbsthilfe vertreten. Kann man hier von einem «sozial unerträglichen Verhalten» sprechen (Fischer a.a.O., Anm. 41 a)? Es handelte sich bei den Aktionen um vom Grundgesetz geschützte Versammlungen. Die Teilnehmer vertraten ein öffentliches Anliegen.
Wie bereits der Name der Gruppe «Die letzte Generation» jedem Betrachter vermittelt, wollen sie der betrachtenden Öffentlichkeit durchaus mit drastischen Mitteln deutlich machen, dass die Menschheit wesentlich mehr zu verlieren hat, als den ungehinderten Straßenverkehr. Ist das verwerflich im Sinne des § 240 StGB? War die Wahl des Versammlungsortes notwendig? Die Reaktionen in der Presse haben deutlich gemacht, dass diese Aktionen gerade deshalb so hohe Aufmerksamkeit fanden, weil sie in den Straßenverkehr eingriffen. Das ist bei der Verwerflichkeitsprüfung mit zu berücksichtigen. Die Losung «Essen retten-Leben retten- bezieht sich wie die verteilten Flugblätter zeigen nicht nur auf Menschen, die auf Tafeln angewiesen sind sondern auch und wesentlich darauf, dass die industrielle Überschussproduktion von Lebensmitteln klimaschädlich ist und damit Teil der Klimakatastrophe ist. Auch der Fernverkehr, der Lebensmittel transportiert, produziert massenhaft und unnötig CO2. Mit der Aktion sollte – wie bei jeder Demonstration – zum Nachdenken angehalten werden, wenn auch diesmal mit drastischen Mitteln.

Unter Berücksichtigung des Geständnisses, der persönlichen Umstände des Beschuldigten, dem Anliegen und der rechtlichen Erwägungen erscheint hier (wie in vielen anderen Fällen bei nicht vorbestraften Beschuldigten) eine Einstellung gem. §§ 47 JGG, § 153 StPO, ggf. gegen Auflagen, angemessen und richtig.»

Die Hauptverhandlung gegen L.Z. endete mit einer Einstellung des Verfahrens und der Auflage, 40 Arbeitsstunden in der Freiburger Tafel abzuleisten.

Michael Moos, Rechtsanwalt