Entscheidung des OLG Brandenburg, Beschluss vom 14.2.2023 – Aktenzeichen 3 W 60/22
Sachverhalt:

Die verstorbene Ehefrau (Erblasserin E) hatte mit Testament aus dem Jahr 1997 ihren Sohn zu ihrem Alleinerben eingesetzt. Später, nämlich im Jahr 2000, errichtete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann ein ganz gewöhnliches gemeinschaftliches Ehegattentestament in Form eines sogenannten Berliner Testaments, in dem sich beide Ehegatten wechselseitig zu Alleinerben einsetzten und zum Schlusserben, also nach dem Versterben des länger lebenden Ehegatten, ihren Sohn bestimmten.

Im Tod der Ehefrau beantragte der Sohn unter Vorlage des Testaments von 1997 die Erteilung eines Erbscheins dahingehend, dass er Alleinerbe sei. Kurz darauf reichte der Ehemann das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 2000 beim Nachlassgericht ein; zugleich erklärte er die Ausschlagung der testamentarischen Erbfolge (danach wäre er Alleinerbe geworden), sowie die Annahme des gesetzlichen Erbes. Wenige Monate später beantragte der Ehemann dann doch die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweisen sollte, dies mit der Begründung, seine zuvor erfolgte Ausschlagung sei unwirksam gewesen. Der Sohn war nun der Ansicht, er sei nach der Ausschlagung des Ehemannes Alleinerbe geworden, denn seine Einsetzung als Schlusserbe im Testament umfasse auch seine Einsetzung als Ersatzerbe.

Das Nachlassgericht entschied unter Zurückweisung des Antrags des Sohnes, der Ehemann sei Alleinerbe geworden; seine Ausschlagung des testamentarischen Erbes mit gleichzeitiger Annahme des gesetzlichen Erbes sei unwirksam gewesen.

Dagegen hat der Sohn Beschwerde einen gelegt, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat, sodass das Oberlandesgericht zu entscheiden hatte.

 

Das OLG Zweibrücken entschied wie folgt:

Die Ausschlagung des Ehemannes ist wirksam gewesen. Der Sohn ist Welz Ersatzerbe zum Alleinerben nach seiner Mutter, der Ehefrau, berufen, nachdem der Ehemann seine Berufung zum testamentarischen Erben gemäß dem Berliner Testament ausgeschlagen hat. Aufgrund des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments aus dem Jahr 2000 war ursprünglich der Ehemann Alleinerbe der Ehefrau. Nachdem der Ehemann sein testamentarisches Erbrecht – und nur sein testamentarisches Erbrecht, nicht sein gesetzliches Erbrecht – gemäß § 1948 Abs. 1 BGB ausgeschlagen und sein gesetzliches Erbe ausdrücklich angenommen hatte, war jedoch nicht die von ihm gewünschte Folge eingetreten. Denn: die Erbfolge war umfassend durch Testament geregelt, sodass die gesetzliche Erbfolge nicht eintreten konnte. Dies jedenfalls entschied das Oberlandesgericht Brandenburg, in dem es das gemeinschaftliche Ehegattentestament entsprechend auslegte.

Welche Rechtsfolge die Ausschlagung der testamentarischen Erbeinsetzung bei einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament hat, ist streitig. Teilweise wird wegen der Zielrichtung des Berliner Testaments, den überlebenden Ehegatten zu begünstigen, die Ausschlagung der testamentarischen Erbfolge und die Annahme des gesetzlichen Erbes als wirksam angesehen. Bei gesetzlicher Erbfolge wäre nun der überlebende Ehegatte (den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft unterstellt) Erbe zu 1/2, während die andere Nachlasshälfte dem Sohn zufallen würde. Wäre die Ausschlagung des testamentarischen Erbrechts unter Annahme des gesetzlichen Erbteils also wirksam, so käme sie dem Sohn zugute, der ja sonst beim ersten Erbfall nicht erbberechtigt wäre.

Nach anderer Ansicht

– der sich das OLG Brandenburg angeschlossen hat – wird eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Berliner Testament benannten Schlusserben angenommen, hier also des Sohnes. Die Ausschlagung der testamentarischen Erbschaft führt also keineswegs automatisch dazu, dass die gesetzliche Erbfolge eintritt. Häufig ergibt sich aus dem Testament für den Fall der Ausschlagung eine andere Erbregelung, zum Beispiel die Einsetzung eines Ersatzerben. Einen solchen Fall hat das Oberlandesgericht hier angenommen, indem es das Berliner Testament entsprechend ausgelegt hat, und zwar dahingehend, dass der im Testament benannte Schlusserbe (Sohn) bei Ausschlagung des testamentarischen Erbrechts durch den überlebenden Ehegatten als Ersatzerbe berufen ist. Dies mit der Begründung, dass dies dem mutmaßlichen Willen der Ehegatten bei Testamentserrichtung entspreche. Das OLG führt aus, dass bei einer bindenden Schlusserbeneinsetzung »im Regelfall« die ergänzende Auslegung des Testaments dazu führt, dass mit der Schlusserbeneinsetzung zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall (hier: Versterben der Ehefrau) gewollt ist. Setzen Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament ihre Kinder zu Schlusserben ein, so sollen die Kinder nach dem Willen der Eltern nach dem Tode des Längstlebenden das dann noch vorhandene Vermögen – auch, soweit es ursprünglich Vermögen des Erstversterbenden war – bekommen. Dem mutmaßlichen Willen der Ehegatten bei Testamentserrichtung entspricht es deshalb in der Regel, dass nach der von ihnen gewollten und im gemeinschaftlichen Testament zugrunde gelegten Nachlassplanung das Vermögen des Erstversterbenden auf jeden Fall an die Schlusserben fällt, auch bei einer Ausschlagung des länger Lebenden. Dies wäre nach Ansicht des OLG Brandenburg nicht gewährleistet, wenn der länger lebende Ehegatte sich über die Ausschlagung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments löse und gemeinsam mit den Kindern gesetzlicher Erbe würde.

Nach Ansicht des OLG Brandenburg

kann man die Bestimmung der Schlusserben in einem Berliner Testament als Ersatzerbenbestimmung beider Ehegatten charakterisieren, von denen sich nur diejenige des länger Lebenden verwirklicht, da der primär zum Erben eingesetzt andere Ehegatte durch sein Vorversterben weggefallen ist. Das OLG folgt damit der teilweise vertretenen Ansicht, wonach die Ausschlagung des testamentarischen Erbrechts durch den überlebenden Ehegatten im Falle eines Berliner Testaments nicht zur gesetzlichen Erbfolge führt, sondern zu einer stillschweigenden Ersatzerbeinsetzung der Schlusserben (hier des Sohnes).