Das Kammergericht Berlin hat mit Beschluss vom 30.8.2021 –  2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21 die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 1.7.2021 (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21) aufgehoben und sich für die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus sog. Encro-Chat Daten ausgesprochen. Weder soll ein Beweiserhebungsverbot, noch ein Beweisverwertungsverbot vorliegen.

 

„Die Staatsanwaltschaft Berlin gelangte in den Besitz der zur Ermittlung des Ange-
klagten als Tatverdächtigen führenden Daten, nachdem es der Staatsanwaltschaft Li-
lle in Frankreich im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit den Nieder-
landen, gelungen war, mittels technischer Mittel in den EncroChat-Server einzudringen
und die darüber abgewickelte Kommunikation zu entschlüsseln. Die Ermittlungen wur-
den in Frankreich unter Beteiligung von Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 ur-
sprünglich gegen die EncroChat-Betreiber u.a. wegen des Verdachts der Bildung einer
kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen geführt.
Den in Frankreich durchgeführten und aufeinander aufbauenden Ermittlungsmaßnah-
men lag ausweislich der Akten und der oben genannten obergerichtlichen Beschlüsse
folgender Sachverhalt zugrunde:
lm Rahmen von sieben nicht im Zusammenhang stehenden Ermittlungsverfahren – in
fünf Fällen handelte es sich ausschließlich um Betäubungsmitteldelikte (436 kg Can-
nabisharz/ 100 kg Cannabisharz / 30 kg Cannabisharz I 30 kg Cannabisharz / 12 kg
Cannabiskraut, 6 kg Heroin, 1 kg Crack), in einem Fall um ein Betäubungsmitteldelikt
(6 kg Cannabisharz) sowie um eine Diebstahlsserie von Luxuskrafrfahrzeugen und in

einem weiteren Fall um bandenmäßig organisierten Kraftfahrzeugdiebstahl – der fran-
zösischen Behörden in den Jahren 2017 und 2018 wurden verschlüsselte Telefone
unter „EncroChat-Lizenz“ sichergestellt.
Weitere Recherchen ergaben, dass diese Telefone auf einer frei zugänglichen Inter-
netseite mit folgenden Produktmerkmalen beworben wurden: „Garantie der Anonymi-
tät, personalisierte Android Plattform, doppeltes Betriebssystem, allerneueste Technik,
automatische Löschung von Nachrichten, schnelles Löschen, Unantastbarkeit, Kryp-
tografie-Hardwaremodul“. Folgende Anwendungen waren auf dieser Art von Telefonen
verfügbar: „EncroChat (instant-Secure Messaging Kunde), EncroTalk (Chiffrierung der
Sprachkonversationen auf IP), EncroNotes (Chiffrierung der lokal auf dem«Gerät ge-
speicherten Notizen)“. Ein Erwerb solcher Endgeräte war jedoch nicht über die offizi-
elle Webseite dieses Unternehmens möglich.
Auf der Verkaufsplattform eBay wurden derartige Geräte für 1.610 Euro angeboten,
wobei dieser Preis eine Nutzerlizenz für die Dauer von (nur) sechs Monaten beinhal-
tete. Personen, die sich nach außen als Verantwortliche der Firma EncroChat präsen-
tierten, existierten nicht. Einen offiziellen Sitz eines Unternehmens EncroChat gab es
ebenfalls nicht.
Anhand der Auswertung eines der beschlagnahmten Mobiltelefone konnten die Ermitt-
lungsbehörden aufgrund der aus- und eingehenden Datenströme feststellen, dass eine
Datenverbindung zu einem in Roubaix (Frankreich) betriebenen Server bestand. Die-
ser Server war von der Gesellschaft „Virtua Imports“ mit Sitz in Vancouver/Kanada
angemietet.

(…)

Maßgeblich ist, ob die von den französischen Behörden nach französischem Recht
gewonnenen und übermittelten Erkenntnisse als „Zufallsfunde“ aus einem anderen
Verfahren gemäß § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im hiesigen Verfahren als Beweismittel
gegen den Angeklagten verwendet und venıvertet werden dürfen. Dies ist aus Sicht
des Senats der Fall.

(…)

Die danach gebotene Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des genann-
ten eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs ergibt aus Sicht des Senats, dass die
nach französischem Recht rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse, im deutschen
Strafverfahren venıvendet und venıvertet werden dürfen.

Dass die Anordnung der von den französischen Behörden durchgeführten Ermitt-
Iungsmaßnahmen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht den Anforderungen zu ge-
nügen scheinen, die nach deutschem Recht an eine Üben/vachung des internetbasier-
ten Datenaustausches und der Telekommunikation zu stellen wären, verbietet nach
der zu treffenden Gesamtabwägung nicht die Venıvertung der hieraus gewonnenen
Erkenntnisse.

(…)“

 

Kein Tag für den Rechtsstaats

 

Wir nehmen die Entscheidung zur Kenntnis, erachten sie jedoch für falsch. Eine anlasslose Telekommunikationsüberwachung ist dem deutschen Recht fremd. Die Frage der Verwertbarkeit von sog. Encro-Chat Daten wurde von mehreren Oberlandesgerichten (OLG Rostock (1. Strafsenat), Beschluss vom 11.05.2021 – 20 Ws 121/21; OLG Schleswig (2. Strafsenat), Beschluss vom 29.04.2021 – 2 Ws 47/21; OLG Hamburg (1. Strafsenat), Beschluss vom 29.01.2021 – 1 Ws 2/21, OLG Brandenburg, Beschluss vom 03. August 2021) positiv bewertet, ist bislang jedoch nicht höchstrichterlich entschieden.

 

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